Brief an den Baukunstbeirat von Augsburg

13. Juli 2016

Brief des Architekturhistorikers und Kunstpädagogen Dr. Gregor Nagler an den Baukunstbeirat von Augsburg

Sehr geehrte Damen und Herren,

leider wurde das Gärtnerhaus des Martini-Parks im Textilviertel vergangen Freitag/Samstag (8./9. Juli 2016) abgebrochen. Mit dem Heizhaus und den angebauten drei Gewächshäusern blieb aber ein bemerkenswertes Zeugnis gärtnerischer Nutzung im Textilviertel erhalten. Das Bauwerk steht direkt am Hanreibach, im Plan des Adressbuches von 1902 ist es bereits eingezeichnet.

Die Mischung aus gärtnerischer und gewerblich-handwerklicher, später industrieller Nutzung ist typisch für das historische Textilviertel. Astrid Debold-Kritter analysierte die sich hier zeitlich und strukturell überlagernden Bau- und Landschaftszeugnisse als Gutachterin im Auftrag ​der ​Stadt Augsburg 1989, ihre Ergebnisse liegen in Publikationen vor (Siehe u.a. Debold Kritter, Das Textilviertel in Augsburg – Beschreibende und photographische Analyse einer historischen Kultur- und Industrielandschaft mit ihren Baudenkmälern, in: Beiträge zur Denkmalkunde, Tilman Breuer zum 60. Geburtstag, München 1991). Für solche hochkomplexen Areale forderte Norbert Huse in seiner Schrift “Unbequeme Baudenkmale” (1997) im ​Ü​brigen neue Formen des Schutzes außerhalb der klassischen Kategorien Ensemble und Einzelbaudenkmal.

Bereits im 18. Jahrhundert lagen im Textilviertel neben den vorindustriellen Gewerbebetrieben auch Lustgärten wie der Schaursche Garten, von dem am Sparrenlech der Wasserturm (18./19 Jh.) zur Versorgung der Nutz- und Zierpflanzen sowie der Wasserspiele erhalten blieb. Die Augsburger Gärten waren so berühmt, dass der Verleger Martin Engelbrecht und der Kupferstecher Carl Remshard eine ganze Serie von Ansichten der berühmtesten Areale herausgaben. Allerdings sind hiervon nur wenige bauliche Zeugnisse überkommen. Wie der Schaursche Turm ist auch das Martini-Heizhaus mit den anschließenden Gewächshäusern ein Beispiel für die vielgestaltige Nutzung des Wassers in Augsburg, allerdings aus einer späteren Epoche, nämlich der Jahrhundertwende. Um 1900 begann sich die Heimatschutzbewegung in Bayern auszubreiten. Neben lebensreformatorischen Ansichten unter dem Motto „Licht, Luft, Sonne” begann man sich auch für den Schutz von Landschaften und Ortsbildern einzusetzen – Gabriel von Seidl etwa mühte sich um die Bewahrung der Isar-Auen. Der auftrumpfende Historismus, in Augsburg zu sehen etwa bei der Haag- und der Silbermann-Villa, wurde von den Heimatschützern abgelehnt. Vorbildlich galt die einfache Architektur um 1800; die Einfügung​ von Goethes ​​​schlichte​m​Gartenhaus​es ​in die Landschaft der​ Weimarer​Ilm-Aue wurde zur „Ikone” der Heimatschutzbewegung. Die Martinis ließen sich offenbar davon „anstecken”, denn das Ensemble aus ​Villa, ​Gärtnerhaus, Heizhaus und Gewächshäusern zeugte von einer sensiblen Einfügung in das „scheinbar natürliche” Parkgelände des Industriebetriebes. Dieses Ensemble existiert seit dem 9. Juli 2016 nicht mehr.

Das Heizhaus aber ist bis heute nicht nur als Architektur erhalten, es weist darüber hinaus die alte Technik, einen Heizkessel zum Erwärmen des Wassers, sowie Leitungen zu den Gewächshäusern auf. In Augsburg gibt es keine zweite Anlage dieser Art mehr. Ähnliche Bauten​ ​sind überhaupt selten, es gibt sie zum Beispiel im Gärtnerviertel in Bamberg als Teil des UNESCO-Weltkulturerbes, allerdings nicht im Rahmen eines englischen Parks sondern gewerblicher Gärtnereien.

Der Grund für die Seltenheit des Martini-Heizhauses: Technische Anlagen und Nutzbauten galten lange nicht als schützenswert. Augsburg ist zum Beispiel mit Recht stolz auf den nun zum Teil sanierten ehemaligen Städtischen Bauhof am Proviantbach (17./18 Jh.), aber sein Erhalt war lange keine „ausgemachte Sache”.

Das Martini-Heizhaus wäre wegen seiner geringen Größe ohne erheblichen Aufwand in eine Neubebauung einzubeziehen. In einem Artikel der Stadt-Zeitung ließ der Architekt der Martini-GmbH, Thomas Glogger, in Bezug auf Gärtnerhaus und Heizhaus verlauten, sie wären in dem neu zu bauenden Wohngebiet ohnehin „Fremdkörper”. Wie seltsam. Ist das Rathaus in seiner zum großen Teil nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Umgebung ein Fremdkörper? Ist das Maximilianmuseum mit seiner Fassade aus dem 16. Jahrhundert ein Fremdkörper neben der Barockfassade des Köpfhauses? Oder werden Bauten nicht eher zu Fremdkörpern, wenn man sie zu Fremdkörpern macht, indem man ein neues, schematisches Raster bezugslos über die alte Struktur legt? Ist dann die alte Struktur der Fremdkörper oder nicht doch das neue Raster?

Organische Planung beachtet immer überkommene Gefüge, Schichten, Grenzen und Bauten. Die Augsburger Stadtplanung beispielsweise geht auf den in den 1920er-Jahren von Theodor-Fischer ausgearbeiteten Generalbaulinienplan zurück. Fischer war – damit den Heimatschützern ähnlich – ​ ​bekannt dafür, dass er Parzellen, Feldwege oder Baumgruppen, sofern möglich, in seine Planung integrierte. Dies war rational, da Besitzstrukturen oft nicht aufzubrechen waren. Dadurch behielten die Orte aber auch ihren manchmal „krummen”, spezifischen Charakter. Nicht Schemata bestimmten bei Fischer die Planung, sondern ortsspezifische Lösungen, die nicht mehr Geld kosten oder weniger Wohnraum bieten mussten, sondern lediglich etwas mehr Nachdenken erforderten.

Natürlich liegt nicht das Martini Heizhaus – so ein Argument -​ ​gerade auf de​m künftigen Straßenraum​. Wenn man indes nicht optimistisch wäre, dass die beteiligten Planer und Architekten so viel Kr​e​ativität aufbringen, ​um ​zumindest das winzige Heizhaus mit den Gewächshäusern zu erhalten, müsste man an ​künftigen ​städtebaulichen Prozessen in Augsburg allgemein (ver)zweifeln.

Mit besten Grüßen

Gregor Nagler

Dr. Gregor Nagler

Architekturhistoriker/Kunstpädagoge

www.gregornagler.de

denkmaltag-2013-jenseits des schönen und guten-unbequeme-baudenkmale

2 Kommentare

  1. Xaver Deniffel sagt:

    Das Motto zum Tag des offenen Denkmals 2016 lautet: Gemeinsam Denkmale erhalten.
    In Augsburg bekommen wir ein anderes Bild, wenn wir den Blick auf das ehemalige Hasenbräu-Gelände, die Georgenstraße und das Textilviertel richten.
    Ehrlicher wäre es, die Stadt würde die bundesweite Eröffnung des Tags des offenen Dankmals in Augsburg am 11. September 2016 absagen.

  2. Gregor Nagler sagt:

    Es hat übrigens vom Baukunstbeirat bisher niemand geantwortet….

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