Stadtentwicklung – Die Torstraße

Mit freundlicher Erlaubnis des Autors Heinz-Joachim Draeger stelle ich hier eine Bilderfolge aus dem Bilderbuch “DIE TORSTRAßE”  ein. Ich habe das Buch irgenwann in den 70-ern während meines Architekturstudiums gekauft, mit großem Interesse gelesen und es später immer wieder meinem kleinen Sohn vorgeführt, um ihn schon frühzeitig vor den Fehlern der Stadtentwicklung zu warnen. Viel Spaß!

1276 – Feuer in der Stadt. Nach einem Brand bietet die Torstraße einen schrecklichen Anblick

 

1376 – Der Besuch des Kaisers! Aus der Brandwüste ist wieder eine belebte Stadt geworden. Die Bauordnung, die keine reinen Holzbauten mehr zulässt, hat sich bewährt. Seit es nur noch Steinhäuser gibt, hat sich keine Feuersbrunst mehr ausbreiten können.

 

1476 – Alltag in der Torstraße. Die Bewohner in der übervölkerten Stadt haben kaum das Nötigste zum Leben. Die Handwerker haben sich zu Zünften zusammengeschlossen. Die Straßen sind schmutzig und der Unrat wird einfach vor die Häuser geworfen.

 

1576 – Die Fahrt zum Richtplatz.  Die ganze Stadt ist auf den Beinen, um zuzusehen, wie der Verurteilte den Kopf verliert. Weil Glas jetzt erschwinglich ist, haben mehrere Hauseigentümer auch Ihre Fenster im Obergeschoss großzügig verglasen lassen. 

1676 – Wintertag.  Der zerstörte Torturm erinnert an die Schrecken des 30-jährigen Krieges. Die Stadt ist verarmt und auch die Häuser hätten eine Auffrischung nötig.

 

1776 – EIn friedlicher Sommertag.  Die Stadt hat sich wirtschaftlich erholt. Die Häuser werden im “modernen” Barockstil renoviert. Die Häuser erhalten immer mehr Fenster und der Torturm erhielt ein “französisches Dach”! Die Menschen erholen sich in der Natur vor den Toren der Stadt. 

1876 – Eine neue Zeit bricht an. Der Einzelhandel in der Stadt blüht auf und vor den Toren der Stadt entstehen neue Stadtteile und Fabriken. Der Torturm viel der Stadterweiterung zum Opfer. Trotz Veränderung bleiben die alten Hausproportionen erhalten.

1926 – Einkaufsbummel in der Torstraße. Die Straße verändert zusehens ihr Gesicht. Überall entstehen Geschäfte und Autos rattern neben der Straßenbahn zwischen den Häusern. Die Geschäfte werden vergrößert und jeder baut wie er will. Werbeflächen prägen das Stadtbild.

1946 – Nach den Schrecken des Krieges. Der zweite Weltkrieg hat seine Spuren hinterlassen. Die Häuser und selbst die Kirche ist zerstört. Es herrscht Armut und lange Schlangen stehen vor den Geschäften an. Man beginnt, die Trümmer des Krieges wegzuräumen. 

1966 – Verkehrschaos in der Torstraße. Alles reden vom “Wirtschaftswunder”. Niemand wohnt mehr hier, denn die “gute Geschäftslage” hat die Mietpreise in die Höhe getrieben. Einzelne alte Häuser stehen verloren zwischen unmaßstäblichen Neubauten.

1976 – Die letzten alten Häuser fallen. Der Verkehr rauscht durch die Straße. Die Fußgänger drängen sich auf schmalen Gehsteigen an Schaufenstern vorbei. Proteste gegen Zerstörung des “historischen Erbes” werden laut. Die Denkmalpflege ist machtlos.

1996 – Das Fußgängerparadies. Die Geschäftsleute sind begeistert: Endlich kann bequem eingekauft werden. Die Stadtplaner haben sich mit Pflasterung und Brünnlein viel Mühe gegeben.  Zur Erinnerung an die “gute alte Zeit” wurde ein alter Gaskandelaber aufgestellt.  

Die Torstraße hat ihren Charakter endgültig verloren. Die Allerweltsmöblierung für Fußgängerzonen mit Kugellampen und Betonpflanzkübeln prägt das Straßenbild. Die Häuser erzählen keine Geschichten mehr und bleiben stumm. Anstelle der Hausgesichter sind Lichtreklamen getreten. Es gibt nur noch Fragen aber keine Antworten: Keiner weiß, woher die TORSTRAßE ihren Namen hat.  Wir müssen immer für die Seele unserer Städte kämpfen!

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V. Schafitel, Architekt

4 Kommentare

  1. jana sagt:

    das ist echt eine super geschichte

  2. jana sagt:

    so ein faik

  3. svenja sagt:

    Ein tolles Buch! Habe es mir als Kind oft aus der Bibliothek ausgeliehen. Vielen Dank, dass Sie diese Geschichte einer Straße hier vorstellen, das weckt Erinnerungen.

  4. manuel sagt:

    Ich bin überaus dankbar für diese bewegte, wie bewegende Bildergeschichte einer Straße dir zur charakterlosen, kalten, leblosen Durchgangspassage innerhalb einer grauen Bauwüste verkommen ist.

    Etwas in mir sträubt sich insbesondere die letzten Jahre davor die Bauentwicklung in Augsburg gedankenlos als zukunftsgewandt zu beklatschen.

    Es mag bestimmt kein Vergleich sein zur hier gezeigten Torstraße, aber diese kleinen Unsinnslösungen tun fast immer weh, weil sie dem Ort Stück für Stück mehr seiner Geschichte nehmen.

    Gerade meine Heimatstadt Augsburg, die sich nie darum scheute ihr Image als eine der ältesten Städte geheiligt emporzuhalten – Das ist schmerzvolle Häme. Ich bin mir meiner wirtschaftlichen Naivität sehr wohl bewusst, jedoch beängstigt mich der kalte, uniformierte Ästhetikgedanke hinter diesem Modernisierungswahn.

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